Zugegeben, die Überschrift erinnert ein bisschen an den bekannten Fauxpas eines weniger bekannten Fischhändlers: „Lebende Karpfen – auch geteilt!“ aber dennoch ist die merkwürdig klingende Geschichte wahr:
Es dürfte um 1960 herum gewesen sein – ich war jedenfalls noch ein Kind – als sich in der ehemaligen DDR – genauer in unserem damaligen Wohnort Weißenfels – pfiffige Holzwerker zu einem Erfinderteam, das damals übrigens Neuererkollektiv hieß, zusammenfanden, um über die Frage nachzudenken, wie man die recht ausdruckslosen Furniere aus heimischer Rotbuche farblich aufwerten kann. Man wollte Devisen für den Import hochwertiger Farbhölzer einsparen. Dabei wurde die Idee geboren, das Holz bereits am lebenden Baum, kurze Zeit vor dem Einschlag einzufärben. Wie das gemacht wurde, kann ich noch recht genau aus eigener Anschauung beschreiben. Dafür gibt es den folgenden Grund: Mein Vater führte in Weißenfels einen kleinen Handwerksbetrieb als Holzbildhauermeister. Dazu musste man jedoch Mitglied eines Verbandes sein, der sich „AGP Holz Weißenfels“ nannte (AGP stand für Arbeitsgemeinschaft des produzierenden Handwerks). Ich kann mich noch sehr lebhaft an die Ausflüge und Exkursionen erinnern, die für die Mitglieder und deren Angehörige in gewissen Abständen organisiert wurden. Eine dieser Exkursionen war eine Busfahrt in den im Landkreis Merseburg - Querfurt gelegenen Ziegelrodaer Forst, einem Mischwald, der hauptsächlich aus Eichen und Buchen besteht. Dort angekommen, wurden wir bereits von Forstarbeitern erwartet, die den Auftrag hatten, uns die „sozialistische Errungenschaft“ der Holzfärbung am lebenden Baum in der Praxis vorzuführen. Die für das Einfärben ausgewählten Buchen mussten zunächst mit Löchern versehen werden, durch die sie die Farblösungen ansaugen konnten. Dazu wurde einen knappen Meter über dem Erdboden eine starke Eisenkette um den Baum gelegt, mit der sich ein eigens für diesen Zweck konstruierter Bohrständer am Stamm festzurren ließ. Dann wurden über den gesamten Stammquerschnitt verteilt zueinander parallele Löcher gebohrt, die ca. 15mm Durchmesser und ca. 60mm Abstand zueinander hatten. In diese Löcher schlug man kurze Metallrohre ein, die mit Gummischläuchen mit 20 Liter fassenden Aluminiumkannen verbunden waren. Die Kannen enthielten wasserlösliche verschiedenfarbige Farbstoffe, die in den Bäumen nach oben wanderten und dem Holz gelbe, rötliche und bläuliche Farbtöne verliehen. Die Farbstoffe wurden vom Institut für Pflanzenchemie der Technischen Universität Dresden in Tharandt zur Verfügung gestellt. Nachdem die Baumstämme die Farbstofflösungen aufgesaugt hatten, wurden sie gefällt und zu Furnieren verarbeitet.
Einige Wochen später besuchen zwei Männer meinen Vater, die sich schon während der Exkursion angeregt mit ihm unterhalten hatten. Sie sind per PKW mit Anhänger vorgefahren und ich darf helfen, die kurzen, in Viertel gespaltenen Stammabschnitte von lebend gefärbter Rotbuche zu entladen. Einer der beiden Männer erzählt dabei meinem Vater, dass die Sache nun ein Patent wäre und man bereits in Finnland Interesse daran bekundet hätte. Dass er mit nach Finnland geschickt würde, glaube er aber nicht, fügt er lachend hinzu. Die anfängliche Freude meines Vaters über den zusätzlichen kostenlosen Holzvorrat wurde bald etwas getrübt, da ein nicht unerheblicher Teil daraus gedrechselter Gegenstände als Gegenleistung für dieses ‚Kompensationsgeschäft’ an die beiden Männer fiel. Weiters stellte sich schnell heraus, dass die seltsamen Farbstreifen die Ästhetik der Werkstücke doch nicht in dem Maße aufwertete, wie man gehofft hatte.
Als ich fast 20 Jahre später meinen Arbeitsplatz von einem chemischen Großbetrieb in ein wissenschaftliches Institut wechsle, nehme ich eine kleine, aus lebend gefärbter Rotbuche gedrechselte Holzdose – die letzte, die ich noch besitze – mit auf Arbeit. Ich zeige sie dem Institutstischler, gewissermaßen um mich bei ihm als Hobby-Holzwerker zu outen. Der winkt lachend ab: „Kenne ich! Habe damals in Hohenmölsen in einer Tischlerei so etwas verarbeitet. Wir mussten z.B. einmal die komplette Ladeneinrichtung einschließlich Wandvertäfelung für eine Eisdiele damit furnieren. Sah furchtbar aus! Überall ‚Strähnen’ von kitschiger ‚Bonbonfarbe’.“ Diesen eingefleischten alten ‚Holzwurm’ konnte ich mit meiner Kuriosität also nicht in Erstaunen versetzen. Ein Wissenschaftler am Institut für Biochemie der Pflanzen in Halle, dem ich die eingefärbte Holzdose ebenfalls zeigte, erinnert sich an die Zusammenarbeit mit der AGP Holz in Weißenfels während seiner Tätigkeit am Institut für Pflanzenchemie der TU Dresden in Tharandt: er hatte die Farbstoffe für die Lebendfärbung der Buchenstämme ausgewählt. Möglicherweise wurde das Verfahren tatsächlich patentiert, geriet aber nach dem Aufkommen künstlicher Möbelfolien bald in Vergessenheit.