Die Grundidee ist nicht neu
Die Idee der Funktionsintegration Motor/Spindelstock ist im Grunde nicht neu. Schon oft haben findige Bastler einfache „Eigenbau-Drechselbänke“ konstruiert, indem sie am Wellenstumpf eines Standard-Elektromotors einfach ein Spannfutter befestigt haben (siehe z.B. meine Linksdrechselbänke auf dieser Site. Aber auch kommerzielle Hersteller von Drechselbänken wie die Firma A. Lang in Zeulenroda (vergl. Bild 1), haben bereits vor Jahrzehnten versucht, dieses im Grunde bestechend einfache Prinzip des Direktantriebes zu verwirklichen, indem sie den Motoranker einfach auf der Hohlspindel der Drechselbank anordneten, und den Stator um die Spindel herum bauten.
Motorgehäuse und Spindelkasten verschmolzen so zu einer Platz sparenden Einheit. Im Gegensatz zum Bastler, der bereits durch die schwachen Motorlager schnell an schier unüberwindbare Grenzen seiner Konstruktion gelangt, könnte ein professioneller Konstrukteur die Lagerung so dimensionieren, wie man es von einem konventionellen Spindelstock gewöhnt ist. Die Vorteile dieser Kompaktheit werden noch deutlicher, wenn man an schwenkbare Spindelstöcke, und/oder an Drechselbänke mit relativ kurzem Bett denkt, wo man natürlich ein gutes Verhältnis zwischen Nutzlänge der Drechselbank (Spitzenweite) und seiner Gesamtlänge anstrebt.
Wieso konnte sich der Direktantrieb nicht früher durchsetzen?
Das alles klingt sehr vernünftig und viel versprechend. Trotzdem konnte sich die direkt angetriebene Drechselbankspindel bisher nicht durchsetzen. Warum nicht? Nun, aus dem gleichen Grunde, aus dem man im Auto kaum auf ein Getriebe verzichten kann: Ein Motor lässt sich leider nur für einen bestimmten Drehzahlbereich optimal dimensionieren. Da der benötigte Spindeldrehzahlbereich bei einer universell nutzbaren Drechselbank wesentlich größer ist, wird bei großen Werkstückdurchmessern eine Übersetzung ins Langsame und bei kleinen Durchmessern eine Übersetzung ins Schnelle benötigt, um bei etwa gleicher Schnittgeschwindigkeit arbeiten zu können. Und diese Übersetzung wird üblicherweise durch Umlegen eines Antriebsriemens auf Riemenscheiben unterschiedlichen Durchmessers erreicht. Auch der Betrieb eines Drehstrom- Asynchronmotors über einen Frequenzumrichter kann das Problem nicht vollständig lösen. Da im untersten Drehzahlbereich leider nur sehr geringe Drehmomente zur Verfügung stehen, wird man auch hier trotzdem eine - meist auf drei Stufen reduzierte – Übersetzung benötigen.
Neue Technik - Neue Chance
In der Technik ist es häufig so, dass konstruktive Lösungen, die sich in der Vergangenheit nicht wirklich bewähren konnten, plötzlich eine Wiedergeburt erfahren, wenn diese mit neuen Entwicklungen auf ganz anderen Gebieten kombiniert werden.
In unserem Falle heißt diese „Entwicklung“ DVR. DVR steht dabei für Digitaler Variabler Reluktanzantrieb Nun hat ein Drechsler vielleicht einen digitalen Mess-Schieber und variable Arbeitszeit, aber beim Sprechen des Wortes Reluktanz spürt er möglicherweise deutlichen Widerstand. Und genau das ist des Wortes Bedeutung: Magnetischer Widerstand. Ja, analog zu den Größen Strom, Spannung Widerstand im elektrischen Stromkreis, deren Zusammenhang durch das Ohmsche Gesetz beschrieben wird, gibt es im magnetischen Kreis die Größen Magnetischer Widerstand, Magnetische Durchflutung und Magnetischer Fluss. Die passende Formel heißt hier übrigens Hopkinsonsches Gesetz. Genau wie der elektrische Widerstand ist auch der magnetische Widerstand eine Materialkonstante. So hat Luft einen recht hohen, Eisen aber einen niedrigen magnetischen Widerstand. Da in der Natur bekanntlich alles versucht, einen möglichst niedrigen Energiezustand einzunehmen, wird ein unmagnetisches Eisenstück versuchen, sich in einem Magnetfeld so ausrichten, dass in dem magnetischen Kreis zwischen den beiden Magnetpolen ein möglichst niedriger magnetischer Widerstand herrscht. Im Gegensatz zu anderen, weit verbreiteten Motorkonstruktionen die mit kompliziert aufgebauten Ankern aus geblätterten Eisenkernen mit kompliziert ineinander verschachtelten Kupferwicklungen, einem Kollektor usw. ausgestattet sind, benötigt ein Reluktanzmotor also nur ein Stück neutrales Weicheisen als Anker. Damit lässt sich also die gesamte Hohlspindel einschließlich Anker aus einem einzigen Stück Material fertigen. Aber auch der Reluktanzmotor ist seit langen bekannt. Warum also konnte er als Drechselbankantrieb nicht schon früher Bedeutung erlangen? Nun, es gibt drei Arten von Reluktanzmotoren: Drehfeld- Reluktanzmotoren, Reluktanz- Schrittmotoren und Geschaltete Reluktanzmotoren. Die letztgenannten, benötigen beide moderne Mikrorechner gesteuerte Leistungselektronik für ihre Funktion. Damit beherrschen beide Typen einen sehr großen Drehzahlbereich. Allerdings erreicht nur der geschaltete Reluktanzmotor über den gesamten Drehzahlbereich ein für den Drechselbankantrieb erforderliches, hohes (und hinreichend konstantes) Drehmoment. Dazu wird im geschalteten Reluktanzmotor eine echte (hochwertige, konfigurierbare) digitale Drehzahlregelung verwirklicht: Ein Sensor ermittelt ständig die aktuelle Winkelposition der Spindel (Istwert), die in einem sog. PID- Regler mit dem die über eine Folientastatur vorgewählten Solldrehzahl verglichen wird. Aus der ermittelten Abweichung des Istwertes vom Sollwert berechnet der Regler die Stellgröße, das heißt, Stromstärke und zeitlicher Verlauf der durch die Statorwicklungen geleiteten Impulse, werden so verändert, dass eine vorhandene Regelabweichnung möglichst schnell aber ohne nennenswertes Überschwingen ausgeglichen wird. Ist der Siegeszug der direkt angetriebenen Drechselbank nun nicht mehr aufzuhalten? Nun, die gerade besprochenen Fakten sprechen dafür.
Doch halt! – Zwei wichtige Gesichtspunkte habe ich noch vergessen:
Es braucht Menschen, die bereit sind, die genügend Kreativität, Mut zum unternehmerischen Risiko, Ausdauer usw. aufzubringen, um solche Innovationen gegen Althergebrachtes und zweifelsfrei Bewährtes am Markt erfolgreich zu etablieren. Die Neuseeländische Firma TEKNATOOL ist bei der Konstruktion ihrer Drechselbank NOVA DVR XP diesen Weg gegangen. Der letzte Gesichtspunkt betrifft die spannende Frage, ob die Käufer das Engagement für neue Lösungen belohnen und damit die Weiterentwicklung und Verbreitung befördern, oder ängstlich an Vertrautem festhalten werden.